Lehrveranstaltungen WiSe 2019/20
Reise(n) als Motiv der europäischen Ideen- und Kulturgeschichte
Laura Weiß (Germanistik): Liebe, Ruhm, Glaube – Reisemotive in mittelalterlicher Literatur
Do., 14:30-16:00, Raum 23.02/U1.21
Mobilität und Reiselust werden den Menschen im vermeintlich statischen Mittelalter mit ihrem eingeschränkten geographischen Bewusstsein auf den ersten Blick nicht zugetraut. Zwar unterscheiden sich die mittelalterlichen Reisebedingungen von den heutigen Möglichkeiten, dennoch ist auch das Mittelalter in erheblichem Maße von räumlicher Mobilität geprägt: Pilger-, Bildungs-, Handels-, Kriegs- und Brautreisen beeinflussen das Leben der damaligen Gesellschaften. Im Seminar werden wir die unterschiedlichen Reiseanlässe in den Blick nehmen und ihre Realisierung in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters mit besonderem Fokus auf religiöse, herrschaftliche und ideelle Motive untersuchen.
Arne Leopold (Kunstgeschichte): „Reisende Kästen“ des Hochmittelalters – Behälter aus Elfenbein in spanischen Kirchenschätzen
Di., 14:30-16:00, Raum 23.03/U1.65
Das Seminar widmet sich den unterschiedlichen Aspekten des Objekttransfers im Spannungsfeld der sog. Reconquista vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, als es christliche und islamische Souveräne nebeneinander auf der iberischen Halbinsel gab. Im Fokus stehen dabei aufwendig geschnitzte, fein bemalte und mit vergoldeten Applikationen versehene Kästen und Pyxiden aus Elfenbein, die sich in spanischen Kirchenschätzen erhalten haben. Obgleich als Reliquiare verwendet, wurden viele Behälter nicht zu sakralen Zwecken hergestellt – Inschriften und Motivik verweisen darauf, wie auch auf eine Herkunft jenseits der territorialen Grenzen des christlichen Westens. Woher und unter welchen Umständen sind die kostbaren Behälter in die Kirchenschätze gelangt – waren es Kriegstrophäen, Tribute oder auch diplomatische Geschenke? Wie wurde mit vermeintlich Fremdartigem in den Inschriften, der Motivik, der Funktionalität oder der Materialästhetik umgegangen und welche Erkenntnisse lässt die materialbasierte Spurensuche in der Perspektive von Reframing [Seeberg/Wittekind] und Transkulturalität [Welsch] zu?
Gero Faßbeck (Romanistik): Reisen in lyrischen Texten von der Romantik bis zur Klassischen Moderne
Mi., 14:30-16:00, Raum 26.21/01.36
Die französische Lyrik des 19. Jahrhunderts ist von Aufbruch und Neubeginn gekennzeichnet. Nicht zufällig ist das Reisen daher eines der zentralen literarischen Motive jener Zeit. Im Seminar behandeln wir ausgewählte Gedichte von der Romantik bis zur Klassischen Moderne, in denen das Motiv der Reise mit anderen, eng damit zusammenhängenden Themen wie Flucht und Evasion, Fremdheit und Alterität, Erinnerung und Bewegung verknüpft ist. Dabei sollen zugleich die wechselseitigen Einflüsse zwischen den europäischen Nachbarliteraturen sichtbar gemacht werden. Neben methodischen Fragen der Textanalyse und Interpretation werden wir uns auch mit den poetologischen Konzepten der jeweiligen Autoren auseinandersetzen. Für Studierende ohne hinreichende Französischkenntnisse werden die Gedichte in deutscher Übersetzung bereitgestellt. Gleichzeitig wird erwartet, dass sich auch nicht-romanistische Studierende mit den Texten in der Originalsprache beschäftigen.
Johannes Waßmer (Geschichte): Reisen. Stationen einer europäischen Kulturgeschichte
Mo., 16:30-18:00, Raum 23.03/01.41
Das Seminarinteresse gilt der kulturgeschichtlichen Entwicklung des Reisens im Europa der letzten eintausend Jahre. Dem Kulturphänomen der Reise widmen wir uns aus ideen-, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Perspektiven. Im Seminarverlauf erhalten wir einen Überblick über die sich epochal wandelnden Funktionen des Reisens, die sich im Gesamten zu einer kurzen, europäischen Kulturgeschichte des Reisens fügen. In jeder Sitzung adressieren wir einen anderen Typ des Reisens. Denn Reisen werden nicht zufällig angetreten, ihnen kommen immer bestimmte Funktionen und Motive zu. Über die Vorlesungszeit hinweg entwickeln wir im Seminar also Grundzüge einer Typologie des Reisens. 1. Reisen und Wanderschaft. Kulturtechnik und Lebensmodell; 2. Auf dem Weg zu Gott; 3. Weltenreisen; 4. Reisende Menschen; 5. Flucht und Vertreibung, 6. Nichtmenschliche Reisen. Dokumentiert sind Reisen in vielfältiger Weise: als Chronik, Itinerar, Reisebericht, Film oder Instagramstory. Mit der Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses über das Reisen verändern sich auch die Modi und Medien der Reisedokumentation. Neben dem Inhalt der Reiseerzählungen werden wir uns dementsprechend auch der Form und Materialität der Quellen- und Primärtexte zuwenden.
Oliver Victor (Philosophie): Das Reisemotiv in der französischen Aufklärung
Di., 14:30-16:00, Raum 23.32/U1.42
Die Philosophen der französischen Aufklärung (Diderot, Montesquieu, Rousseau, Voltaire) bedienen sich größtenteils nicht der Form einer klassischen philosophischen Abhandlung, sondern kleiden ihre Gedanken meist in eine literarische Form. Dabei rückt besonders das literarische Genus des Briefromans in den Fokus. Die „philosophes des Lumières“ konzipieren fiktive Briefe von Ausländern, die ihren Gesprächspartnern in der Heimat von Europa berichten. Die gesellschaftlichen Umstände des eigenen Landes werden aus kritischer Distanz des Fremden gespiegelt und infrage gestellt. Das Motiv des Reisens erhält somit Einzug in Texte mit aufklärerischem Anspruch. Im Rahmen des Seminars möchten wir dem Reisemotiv in der französischen Aufklärung anhand ausgewählter Texte nachgehen. Form und Inhalt der Schriften sollen dabei gleichermaßen berücksichtig werden. Inwiefern werden im Topos des Reisens philosophische Ziele der Aufklärung besonders anschaulich? Was lässt die literarischen Formen des Briefromans, der Erzählung oder auch des Gedichts als dafür besonders geeignet erscheinen?
Farina Marx (Jüdische Studien): Jüdische Weltentdecker
Di., 12:30-14:00, Raum 24.21/06.61
Zwei berühmte jüdische Reiseberichte stehen im Mittelpunkt dieser Veranstaltung. Der Bericht des sephardischen Benjamin bar Jona von Tudela und der des aschkenasischen Petachja ben Jakob von Regensburg führen uns in diesem Semester durch die mittelalterliche Welt aus der Sicht jüdischer Reisender. Was veranlasste diese Menschen, die vermutlich Händler waren, dazu, solche detaillierten Berichte über die Orte zu verfassen, die sie besuchten? Wie historisch authentisch sind diese Berichte und was verraten sie uns über das Leben der Menschen? Mit diesen und weiteren Fragen über die Umstände „jüdischen Reisens“ werden wir uns beschäftigen.